Höhere Töchterschule Lobberich

von Wilhelmine Steinberg

aus: Nettetaler Spätlese. Zeitung für ältere Menschen Nr. 7 / 2002

Parallel zu der altbewährten höheren Knaben- oder auch Rektoratsschule, konnte Lobberich auch eine höhere Töchterschule aufweisen, die wahrscheinlich so um 1904 ins Leben gerufen wurde.

Zu Beginn ihrer Laufbahn unterrichtete man im Hause 38 auf der damaligen Sassenfelder Str., heute An St. Sebastian.

Wie immer hatte das aufblühende Lobberich auch im Schulwesen allen umliegenden Ortschaften etwas voraus.

Auf der Neu- Ecke Steegerstr. an der rechten Seite zwischen dem Bauer Raggen und dem Gelände des Dörkesstifts lag später die aus 3 Klassenräumen bestehende Zwergschule.

Wenn auch bescheiden und klein, aber dennoch oho, genossen die Kinder dort einen sehr intensiven Unterricht. Geleitet wurde sie von Schwestern, die dem Göttliche-Vorsehung-Orden angehörten. Die Oberin und Hauptperson hieß Schwester Philomenis. Ihr zur Seite stand eine zweite Schwester. Zu meiner Zeit war es die jüngere, liebreizende Leonilda.

Schwester Wilhelmis, flott und lustig, erteilte Handarbeit in den Baracken des Bongartzstiftes. Später wurde sie von Hildegarde abgelöst. Sie war das Gegenteil von Wilhelmis, lieb und sanft wie eine Taube, doch wir Kinder liebten die Aufgeschlossenheit mehr.

Auf dem Weg von unserer Schule an der Neustr. zum Bongartzstift bummelten wir natürlich tüchtig herum und trieben allerlei Schabernack, zumal es auf dem Markt immer interessante Dinge zu beobachten gab.

Doch Philomenis kam uns auf die Schliche und klügelte ein Zeitsystem aus, das unsere vergnügte Bummelei unmöglich machte.

Dass Schwestern in punkto Sitte, Anstand und gutes Benehmen besondere Ansprüche an die Kinder stellten, war ja von eh und je bekannt. Doch was Frl. Teggers, genannt Mariechen, und die einzige weltliche Lehrkraft an unserer Schule, auf diesem Gebiet auf die Beine stellte, ging über jede Hutschnur. Sie wollte einfach päpstlicher sein als der Papst. So sehr wir auch ihren anschaulichen Unterricht liebten, so gefürchtet war ihre flotte rechte Hand. Ehe man sich versah, verpasste sie einem eine Ohrfeige, die nicht von schlechten Eltern war. Auch zeigte sie sich beim Austeilen von Strafarbeiten nicht kleinlich. "Wie sich ein anständiges Mädchen in der Schule zu benehmen habe", so oder ähnlich lauteten die Themen.

Wir fanden das höchst albern und machen solcherlei Dinge nur unter Zwang und sehr ungern. Als lebhaftes Kind und stets zu allerlei Streichen aufgelegt, musste ich des öfteren schriftlich ausdrücken, wie ich mich zu benehmen habe. Auch bekam ich ihre berühmte "Rechte" leider öfters zu spüren. Die Zeit war damals noch nicht reif, um dagegen zu protestieren.

Mariechen erteilte auch Turnunterricht, und zwar in der Halle des Turnvereins an den Sportplätzen. Der vordere Teil des Gebäudes fungierte als Jugendherberge. Mein Gott, hatten wir zünftige Sportkleidung! Sie gehörte heute ins Raritätenkabinett. Als Abschluss der Turnstunde wurde meist Völkerball gespielt. Auch bei der Gelegenheit war Mariechens "Rechte" sehr gefürchtet, schlug sie doch den Ball derart heftig ins Feld, dass wir immer versuchten, ihm auszuweichen. Mariechens Korpulenz gab natürlich Anlass zur heimlichen Belustigung. Kinder beobachten nun mal scharf und neigen dann leicht zu boshaften Bemerkungen. Natürlich ganz unter sich. Beim Sport und im Badedress, wo ihre Rundungen besonders gut zur Geltung kamen, konnten wir das Kichern kaum unterdrücken. Mit Strenge und straffem Unterricht ging sie über unser albernes Getue zu Tagesordnung über.

Nicht unerwähnt lassen kann man Wirken und Schaffen der fast berühmt gewordenen Leiterin Schwester Philomenis, der feste Fels in der Brandung der unruhigen Zeit. Klein, rundlich, aber behende, sauste sie zwischen den einzelnen Klassen, um nötigenfalls ihre Autorität auszuüben. Natürlich unterrichtete sie auch eifrig in den verschiedensten Fächern. Französisch war ihre Stärke!

Sie neigte eher zur Freundlichkeit. Doch wehe, wenn sie in Zorn geriet. Purpurrot im Gesicht ging es dann mit aller Schärfe zur Sache. Ein besonderes Merkmal ihres Gesichts war eine dicke Warze an der Oberlippe. Geriet sie in Erregung, knibbelte sie eifrig daran herum. Den Grat ihres Zorns konnte man in etwa daran ablesen.

Mit großem Interesse beobachteten wir, wenn die hohe Geistlichkeit auftauchte. Sie errötete dann sanft wie ein junges Mädchen beim Anblick eines heimlich verehrten Jünglings.

Zu meiner Zeit gab außer Dechant Boers noch Dr.de Cleur Religionsunterricht.

Es hieß von ihm, er habe in Rom studiert, und er sei ein außerordentlich kluger Mann. Wenn wir Kinder das auch nicht beurteilen konnten, um so angenehmer empfanden wir seine Großzügigkeit. Er war seiner Zeit mit der Unterrichtsmethode weit voraus. Nichts von Engstirnigkeit und Kleinkariertheit war zu bemerken. Im Gegenteil! Nie vergessen blieb sein Ratschlag am Samstag die Beichtstühle nicht zu blockieren, wie gewisse Jungfrauen das leider immer noch unternähmen. Einmal im Monat seine Sünden loszuwerden, sei dicke genug. Wenn das Philomenis und Mariechen geahnt hätten. O weh, o weh! Wo sie doch gerade in religiösen Dingen so genau waren und auf strengste Einhaltung gewisser Regeln bestanden.

Eine kleine Episode wäre noch zu erwähnen, wo Schwester Philomenis im Zorn auch die Hand ausrutschte. Die Kleinste und auch dümmste zwischen uns Mädchen, ein sogenanntes Himken, guckte neidvoll auf ihre Kameradinnen, deren Oberkörper leichte Rundungen aufwiesen. Sie wollte nicht zurückstehen und stopfte sich, einen Busen vortäuschend, zwei Taschentücher dort hin, wo die anderen schon etwas vorzuweisen hatten. Ob die Taschentücher ungleich oder verrutscht waren, die Argusaugen von Philomenis entdeckten das Gefummel und die Strafe folgte auf dem Fuße. Komischerweise war sie mit den andersgläubigen Kindern, evangelisch und Juden, besonders großzügig und liebenswürdig, was uns oft erboste und verdross!

Erwähnen muss man noch, dass mal eine Zeit lang ein Frl. Feikes unterrichtete, vielleicht vertretungsweise oder als Aushilfe. Jedenfalls kam sie uns Kindern eher wie eine ältere Schwester als eine Respektsperson vor, so verständnisvoll, freundlich und lieb behandelte sie uns. Sehr zu unserem Leidwesen soll sie später den Witwer Arthur Fassbender geheiratet haben, und den konnten wir nun einmal nicht verknusen.

Wenn auch Strenge und kleinkarierter Kram an der Schule oft lästig waren und übertrieben, gingen wir trotzdem gerne hin und lernten eifrig.

Wie ein Schock traf es alle, als die Schule aufgelöst wurde. Weil die Zeit sehr schlecht und das Geld noch knapper wurde, sank auch die Schülerzahl. Man musste damals noch Schulgeld zahlen.

Die Gemeinde konnte keine 2 Schulen mehr unerhalten und vereinigt kurzerhand die beiden in der Rektoratsschule.

In der Untertertia saßen sage und schreibe 6 Mädchen und 5 Jungen. In den anderen Klassen waren es auch nicht viel mehr.

Als geistiger Rektor der Schule fungierte der aus dem Westfälischen stammende Rektor Hüging. Ihm zur Seite und als Stellvertreter tat sich Dr. Fenkes, genant Bubi, ganz groß in Latein und Deutsch. Hugo Buschmann unterrichtete in Geschichte, Physik und sein Steckenpferd Kunst. Lehrer Scheufgen, leider früh verstorben, gab uns Mädchen Englisch und war bei uns sehr beliebt. Als Weibliche Lehrkraft wurde Mariechen Teggers von der Rektoratsschule übernommen. Bei all den männlichen Kollegen bremste sie ihr Temperament etwas und ließ ihre berühmte rechte Hand nicht mehr so oft on Aktion treten. Wir Mädchen waren gar nicht gewöhnt, von den Lehrern so großzügig behandelt zu werden. Was wir auch anstellten, nie traf uns irgendeine Schuld. Das wurde immer den Jungen in die Schuhe geschoben. Da wir unseren Einfluss auf die Lehrer schnell erkannten, muss gerechterweise gesagt werden, dass wir sie nach besten Kräften verteidigten.

Alles in allem verlief der Wechsel von der Mädchenschule zur nun gemischten Rektoratsschule besser als man je gedacht hätte.

Für uns Mädchen wurde er direkt zu einem Idealzustand, genossen wir doch nach der strengen Zucht des Nonnenregims viel mehr Freiheit und einen im gewissen Sinne sehr gelockerten Unterricht. Rückblickend nach so vielen Jahren muss man sich eingestehen, dass die Schulzeit doch fast immer die unbeschwerteste Zeit im Leben der Kinder bedeutet.


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