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Donnerstag, 20. November 2003


Der Fahnenträger und sein Sohn


Eine Lobbericher Familientragödie,
so geschehen 1944 / Todesurteil in Trier vollstreckt

Von Günter Nonninger

Lobberich. Anlässlich des bevorstehenden Totensonntages berichtete uns Günter Nonninger, gebürtiger Lobbericher und heute in Leuth wohnender Heimatforscher, von einer Lobbericher Familientragödie aus dem Jahre 1944. Um die Geschehnisse der damaligen Zeit besser verstehen und einordnen zu können, ist es notwendig, die Vorgeschichte zu erzählen.

Rückblick

Viele große und kleine Ereignisse in der Zeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führten zum ersten und zweiten Weltkrieg. Den durch nichts zu überbietenden Hurra-Patriotismus des Deutschen Kaisers Wilhelm II. hatte die Animositäten der anderen europäischen Staaten nicht ruhen lassen, so dass die dortigen chauvinistischen, antideutschen Einstellungen letztendlich zum Ersten Weltkrieg, Beginn am 1. August 1914, führten. Der fürchterliche Verlauf dieses Krieges endete mit der deutschen Kapitulation. Wilhelm Il. floh nach Holland, der deutsche Kronprinz Wilhelm floh nach Swalmen, nahe der niederländischen Grenze.

Die deutschen Soldaten zogen von der Ypern-IJmuiden Front "im Felde unbesiegt, von der Heimat verraten" durch Belgien und Niederlande, Limburg nach Deutschland zurück. So erreichte die zweite Marine-Division um den 15. November 1918 Lobberich. Sie zog in Lobbereich "mit klingendem Spiel" durch die eilends an der Breyeller Straße/Ecke Hochstraße errichtete "Ehrenpforte" mit der Aufschrift- "Die Heimat grüßt die unbesiegten Helden!" ein. Auf dem Markt begrüßte Bürgermeister Eger mit markigen Worten die Truppen. Begeistert und auch wehmütig stimmten Bürger und Soldaten in den Ruf "Hoch, auf das Vaterland" ein. Gemeinsam sangen sie "Deutschland, Deutschland

über alles Der Kommandeur der zweiten Marineinfantrie-Division bedankte sich und rühmte den Empfang in Lobberich.

1919 folgte der Vertrag von Versailles, der Deutschland ins Chaos stürzte. Armut, Hunger, Geldentwertung und Vermögungsverluste waren die unmittelbaren Folgen. Die Kaufkraft der Mark erlosch. Es war die große Inflation. Der tägliche Geschäftsverkehr schlief ein. Unsere Drogerie, gegründet 1891, hatte 1923 einen Umsatz von 2.311.325.013.512.458. Mark, davon mussten 46,26 Billionen Mark Umsatzsteuer bezahlt werden. 1924 trat die Währungsreform in Kraft. Es folgte ein kurzer Aufschwung, der bis 1928 andauerte. Die stolze Lobbericher Textil-Samt-Samtband Industrie und andere Industrien brachen fast völlig zusammen. Lediglich die Firmen Kley & Cleven, deBall und Birgelen arbeiteten in kleinerem Umfang weiter. Die Folge war, dass rund 3.000 Menschen arbeitslos wurden. Sie mussten stempeln gehen. Das geschah in dem ehemaligen Niedieckschen Verwaltungsgebäude. Es stand an dem Platz der heutigen Pumpstation mit Parkplatz gegenüber von Möbel Busch.

Die Arbeitslosen kamen nicht nur aus Lobberich, sondern auch aus den umliegenden Ortschaften und Sektionen. Sie machten sich schon sehr früh am Tag auf den Weg. Mit Holzschuhen an den Füßen gingen sie ihres Weges zur Zahlstelle. Die Arbeitslosen standen in langen Reihen mit fünf bis acht Personen entlang der Breyeller Straße, vorbei an - heute - Auto Hölter, links in der Mühlenstraße bis Zur Bleiche. Die Arbeitslosen mussten bei Wind und Wetter, im Sommer und im eisigen Winter - ob gesund oder krank - anstehen. Es folgten drei Notverordnungen, durch die das Stempelgeld - sprich Arbeitslosengeld - drastisch eingeschränkt wurde. Jeder musste zum Zahltag persönlich erscheinen.

Verzweifelte Lage

Da alle Lebensmittel, Zigaretten und Kaffee in Venlo wesentlich billiger waren, versuchten viele Menschen in ihrer Verzweiflung durch Schmuggel für den eigenen Bedarf und durch Verkauf ihre Verhältnisse zu verbessern, zum Teil mit tragischen Konsequenzen. So wurde 1932 ein 16-jähriges Mädchen aus Lobberich-Sassenfeld beim Schmuggeln von 500 Gramm Kaffee von deutschen Zöllnern erschossen. Die Not in den Familien, der Pensionäre, Geschäftsinhaber und Bauern wurde immer größer. Sie wuchs von Tag zu Tag. Mancher verfiel dem Alkohol, die Frauen standen neben ihren Männern am Auszahlungsschalter und nahmen ihnen sofort das Geld ab.

Hier in Lobberich ging es fast allen schlecht. Die Fabrikantenvermögen waren vernichtet, die Familien verarmt, die Geschäftsinhaber mussten bald auch den letzten Mitarbeiter entlassen. Nur wenige konnten weiterarbeiten. In dieser für die Menschen aussichtslosen Situation erschien nun der Anstreichergeselle aus Österreich fälschlicherweise wie ein neuer Messias und verkündete, er werde für alle Brot und Arbeit schaffen, die Schmach von Versailles tilgen und Deutschland stolz, stark und mächtig machen. Zur Partei Hitlers gesellten sich bereits 1928 "Gläubige", die mit 200-prozentigem Einsatz für Hitler kämpften. Begeistert vertraten sie seine Ideen und forderten die Verwirklichung seiner Ziele. Sie wurden bereits vor 1933 seine fanatischen Anhänger

Der Fahnenträger

So auch in unserem Lobbericher Fall. Der Vater war bereits vor der Machtübernahme der Fahnenträger der NSDAP Lobberich. Seine Frau, ebenfalls eine 200-prozentige Parteigängerin, unterstützte ihn hierbei. Nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 trug er noch stolzer die Fahne seines Führers und Reichskanzlers zum Rubine der Partei und des Reiches aus rotem Tuch mit dem indogermanischen Hakenkreuz im weißen runden Kreis. Seinen Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdiente er durch sein gut gehendes Verkaufsreisegeschäft. Er besuchte die Bauern in den Honschaften in der näheren und weiteren Umgebung Dabei versäumte er nicht, das Heil des Führers zu predigen. Hinzu kam, dass "seine" Fahne von der Lobbericher NSDAP in München vor der Feldherrnhalle geweiht wurde. Hitler persönlich hatte die Fahne durch Berühren geweiht und geadelt.

Ab jetzt trug er sie bei allen Veranstaltungen und Umzügen stolzer als je zuvor. Ein Jeder hatte aufzustehen und durch Erheben des rechten Armes zu grüßen. Er kannte alle, die am Straßenrand standen. Er wusste auch, dass die Lobbericher Weber ihrer SPD treu geblieben waren. Er erkannte am Heben des rechten Armes ihre wahre Gesinnung, mal lau mit geknicktem Arm, während die 200-prozentigen mit hoch gerecktem Arm "Heil, Heil, Heil" schrieen und salutierten. Und so hörte man vom Fahnenträger häufiger die Bemerkung: "Höher dä Ärm, so jeht dat neet, ich wiet, wat du denkst!" Gewaltig stolz war er beim Einmarsch in den großen Saal bei Dammer oder auf dem Marktplatz, wenn dann Hitlers Leibmarsch "Der Badenweiler Marsch" erklang und die Menschen dicht an dicht mit gestrecktem rechten Arm "seine" Fahne grüßten.

Auch irr seiner Familie lebte man "ein Leben für den Führer". Das Paar hatte einen Sohn, der nicht mit uns wilden Rabauken spielen und sich prügeln durfte. Er musste stets sauber und adrett in HJUniform auftreten. Der Sohn wurde zu Schulungen für den NS-Nachwuchs geschickt. Er war im Gegensatz zu anderen HJ-Führern zackig - aber nie ausfallend. Später sah ich ihn mehrfach flüchtig in seiner Uniform der Waffen SS.

Der Krieg brach aus. Die Jahre vergingen. Der Vater bereiste weiterhin seine Bauernkunden und wurde fast immer von den Bauersfrauen zusammengestaucht: " ... von wegen Endsieg!". Die Frauen waren, alleine auf den Höfen verblieben, Vater und Söhne im Krieg. Man tat sein Bestes. Draußen schossen die Jagdbomber auf die Feldarbeiter. Bomberströme flogen über das Land, Brandbomben fielen auf die Höfe, Phosphorplättchen zündeten erntereife Felder an. Brandrote Nächte, Flakfeuer und ausgebombte Verwandte waren alltäglich.

Späte Einsicht

Zu diesem Zeitpunkt muss wohl der Fahnenträger gemerkt haben, dass er falschen Parolen und Propheten gefolgt und der Krieg verloren war. Im Sommer 1944 brach die Westfront zusammen. Die Soldaten zogen sich fliehend zurück. Während dieser Kriegswirren kam der Sohn von der Ostfront in den Urlaub nach Lobberich. Er wusste, wie es im Osten aussah. Jetzt bekamen die Eltern Angst um ihn. Sie überredeten ihn, zu Hause zu bleiben und nicht zu seiner Einheit an die Front zurück zu kehren. Er wurde auf dem Speicher seines Elternhauses versteckt, in der Hoffnung, dass bald alles vorbei sei..

Die Abwesenheit von der Truppe blieb natürlich nicht unbemerkt und die Suche der Feldgendarm bzw. der Gestapo begann. Es kam zu einer Hausdurchsuchung bei den Eltern. Der Sohn wurde auf dem Speicher entdeckt und verhaftet. Man brachte ihn nach Trier, wo er vor ein SS-Kriegsgericht gestellt wurde. Er wurde wegen Fahnenflucht zum Tod durch Erschießen verurteilt. Das Urteil wurde wenige Tage später im Oktober 1944 in der Nähe von Trier in einer Kiesgrube vollstreckt..


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